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(auszug aus text-booklet von Christine Lang)
... So ist es durchaus auch als ein politisches Statement zu verstehen, dass einige Gedichte provokativ ganz ohne ihre Worte vertreten sind. Die Gedichtvertonungen von Christa Wolf (*1929) Edeltraut Eckert (1930-1955) und Heidemarie Härtl (1943-1993) sind nur in musikalischer Übersetzung präsent. Es handelt sich dabei um eine Art Kassiber, in denen sich zweierlei Botschaft verbergen: AGF (*1969) ist in der DDR, einem von der Landkarte verschwundenen Land, aufgewachsen - in einem Land, wie sie sagt, in dem es keine Meinungsfreiheit gab, aber den tiefsitzenden Wunsch sich anders auszudrücken - eben über Poesie, Verdichtung und Verschlüsselung. In der DDR gab es Codes, die als Künstlerin eingehalten werden mussten, und dieses Denken und sich Artikulieren in Chiffren hat offenbar bis heute Einfluss auf die Text- und Musikproduktionen AGFs. Damit wird die Machinenmusik, das Klingeln, die spooky Beeps aus dem All, der Rhytmus einer Atemmaschine, das in den Höhen zwingend laut werdende Fiepen in Heidemarie Härtl und der erbarmungslose, rückwärts klingende Takt in Christa Wolf zu Panoramen der Endzeit einer untergehenden Diktatur und zu Insignien dafür, dass diese DDR-Dichterinnen entweder keine Chance auf Veröffentlichungen besaßen, oder eben Staatsdichterinnen zu sein hatten. Edeltraut Eckert war bei ihrer Verhaftung zwanzig Jahre alt und verstarb nur fünfundzwanzigjährig im Arbeitslager; ihre Texte blieben lange unbekannt, und in kaum einem anderen Stück auf Gedichterbe wird die politische Haltung der Kuratorin und Musikerin so explizit wie in den „wortlosen Gedichten“ der vergessenen Dichterinnen der DDR.
So sind diese Audiopoems eine Art Verweis auf eine Leerstelle der Geschichte. Gleichzeitig lässt sich aus ihnen das Konzept dieser CD erschließen: Sprache und Musik ergänzen sich in idealer Weise und können füreinander einspringen. Gedichterbe ist ein bestes Beispiel eben dafür, wie sich Dichtung, Sprache, Deutung und Musik berühren und sich gegenseitig ineinander verwandeln...
lyrics
II
das war der anfang meines lebens und nun
folgt der zweite teil. vielleicht
beginne auch ich das karussell zu lieben
wie constance die starb in eine
straßenbahn laufend im endlich erreichten
freiberg im breisgau beim holen
von frischen brötchen. manche
menschen legen großen wert auf
frische brötchen. die dichter
haben das nie gemacht. immer haben
sie staunend auf den brötchenberg
auf ihrem frühstückstisch geblickt.
fahren jetzt die bullen im lada vorbei
fragen sie sich ob ich da bin und schaut
einer nach oben zu meinen fenstern?
ich bin sicher: irgendwo hat ein computer
die verbindung hergestellt zwischen
mir und meinem freund micha k. mit dem
ich in berlin-pankow in eine klasse
ging in einer eliteschule und
ich muß ihr gerecht werden so wie
er gerecht werden muß seinem
großvater nach dem in dieser
stadt eine straße benannt ist.
und wir brauchen uns nicht auf
die alten generäle zu verlassen
wir können selbst etwas machen
verbunden durch den computer. ideale
und elektronik sind unabdingbare
voraussetzungen unseres lebens. wo ist
er? in moskau peking beirut washington?
hat er noch seinen alten namen und
die brille oder trägt er kontaktlinsen?
mit einer moralischen tat schwingt
man sich in den computer
in das elektronische netztwerk
aus dem man nie wieder verschwinden
kann – jeder der etwas gegen computer hat
begreift den geheimdienst nicht.
radio: filmfestspiele in westberlin
ein regisseur aus ostberlin versucht
die phantastische unterscheidung
von weltanschauung und politik. in
weltanschaulichen fragen könne man
sich streiten in politischen nicht
dieses kunststück scheint er
vorgeführt zu haben in seinem film
einer trage des andern last.
rauchen bis das herz schmerzt. das
leben geht weiter. wir müssen uns selbst
helfen das leben geht immer weiter…
aber es ist gut einen starken baum im
wald zu haben wie die förster wissen
schrieb der in dieser stadt katholisch
erzogene andreas vincent der im forst
arbeitet weil er sonst gestorben wäre
den strick hatte er schon für den suizid
kommt vor. wenn der druck zu groß ist
noch einmal die vorletzte zigarette,
aber ich habe noch tabak und papier
ich kann zigaretten drehen
bis morgen früh. die geschichte
wird von den massen gemacht
in denen ich schwinge weil ich
gelernt habe auf die kleinsten
regungen der straße zu achten
im radio meldungen von der olympiade
stimmen von ski-champion im dialekt
joe cokker singt. ich trinke wein.
Heidemarie Härtl, Auszug aus: Die Strasse, 1986
credits
from Gedichterbe,
released June 14, 2011
instrumental, composition by Antye Greie
AGF ✸ poemproducer ✸ Antye Greie-RipattiHailuoto, Finland
audio sculptress performing as AGF, poetess and new media artist Antye Greie-Ripatti utilises language, sound, politics & explores speech within the audible depths of anti-rhythmic post-internet assemblages @poemproducer *
The ambient composer creates pieces reminiscent of short stories by Breece D’J Pancake, assembling familiar sounds in ways that render them haunted and suddenly unfamiliar. Bandcamp Album of the Day Nov 8, 2023